Das große Summen auf den Gräbern

In Großstädten halten sich Wildbienen besonders gerne auf dem Friedhof auf. Welche Plätze lieben sie besonders? Die Biologin Bärbel Pachinger und ihr Team hat vier Wiener Friedhöfe genauer untersucht und dabei Überraschendes festgestellt.  

Wien als Wildbienen-Hotspot

Die Großstadt Wien ist ein Wildbienen-Magnet, ein Hotspot in Mitteleuropa. Denn das Klima in dieser Großstadt ist besonders: das kühlere Alpenklima trifft hier auf das wärmere Klima der pannonischen Tiefebene. Dadurch tummeln sich nicht nur nördliche Wildbienenarten, sondern auch wärmeliebende Spezies aus dem Süden in der Stadt. Ganze 477 Arten soll es in Wien insgesamt geben.

Die Tiere sind besonders gerne auf Friedhöfen unterwegs. Hier suchen sie nach dem besten Ort zum Nisten. Manche graben Gänge für den Nestbau in den Boden, andere nagen in abgestorbenen Pflanzenstängeln oder nutzen kleine Hohlräume in der Friedhofmauer. Doch genauso, wie sie einen Nistplatz suchen, suchen sie auf dem Friedhof auch nach Fressbarem: Pollen oder Nektar brauchen sie – und manchmal auch etwas Öl.

Bärbel Pachinger ist Wildbienenexpertin. Sie möchte herauszufinden, wo die Wildbienen leben und auf welchen Flächen die Tiere sich am liebsten tummeln. Sind die Gräber attraktiv, oder sind Büsche, Hecken und andere Areale für die Brummer interessanter?

Wien hat 55 Friedhöfe, die rund eineinhalb Prozent der städtischen Gesamtfläche bedecken. Das klingt wenig, doch zusammengenommen sind die Flächen immerhin fünf Quadratkilometer groß. Aus diesen Flächen hat Bärbel Pachinger vier Friedhöfe ausgewählt und zusammen mit Studierenden der Universität für Bodenkultur (BOKU) einen Sommer lang untersucht.

Der beste Friedhof für Wildbienen

Der Ottakringer Friedhof ist der größte unter den vieren. Doch nur weil er viel Fläche zu bieten hat, kommen nicht automatisch auch viele Wildbienen zu Besuch. Im Gegenteil: Nur 47 von insgesamt 96 Wildbienenarten konnten die Forschenden hier zählen.

Das liegt zum einen an den Gräbern selbst. „Es macht einen Riesenunterschied, ob eine Grabfläche von einer Steinplatte versiegelt wird oder ob dort Pflanzen wachsen, mit denen Wildbienen etwas anfangen können. Man kann da sehr viel Gutes tun, aber auch viel verkehrt machen“, sagt die Biologin. Mit verkehrt meint Bärbel Pachinger: Pflanzen mit gefüllten Blüten kaufen, die keinen Pollen mehr haben. Denn Wildbienen werden davon nicht satt, sie suchen einheimische Blütenpflanzen. Und die finden sie auf den Gräbern, um die sich die Hinterbliebenen nicht mehr kümmern. Dort gab es genau den „Wildwuchs“, den Wildbienen so ungemein mögen.

Zum anderen liegt die „Wildbienenabstinenz“ daran, dass die Grünflächen auf manchen Friedhöfen recht häufig komplett gemäht und damit das Bienenfutter auf einen Schlag vernichtet wird.

Gräber kann man bienenfreundlich gestalten – oder auch nicht. Foto: Bärbel Pachinger

Drei Friedhöfe sind beliebter

Die anderen Friedhöfe waren bei Wildbienen beliebter: Der Hernalser Friedhof etwa wurde auf einem ehemaligen Weinbauhang angelegt. Dadurch gibt es viele, teils steile Böschungen, die selten gemäht werden, und es gibt freie Erdflächen und Totholz. Dementsprechend wurden 59 Wildbienenarten gezählt, was diesem Friedhof den zweiten Platz im Artenranking einräumt. Der Döblinger Friedhof hat sogar noch eine Art mehr zu bieten und liegt mit 60 Arten auf Platz eins. Er hat viele vernachlässigte oder aufgelassene Gräber, auf dem wilde Pflanzen wuchern können.

Der mit Abstand kleinste der untersuchten Friedhöfe ist der Heiligenstädter Friedhof, der von Weingärten und locker bebautem Wohngebiet umgeben ist. Der gute Einfluss der zersiedelten Umgebung scheint sich allerdings nicht sonderlich auf die Artenzahl auszuwirken, denn das Team fand dort nur 55 Arten, was dem Friedhof den dritten Platz einräumt.

„Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen“ sagt Bärbel Pachinger. „Auch Wege sind wichtig: wenn die asphaltiert sind, sind sie für Wildbienen wertlos. Kleine Trampelpfade sind dagegen ideal, weil die Bienen dort auch im Boden nisten können.“ Friedhöfe stellen ein großes Potential als Lebensraum für Wildbienen dar. „Darum müssen wir die Flächen in Zukunft noch besser gestalten“, sagt Bärbel Pachinger.

Je wilder, desto besser

Nicht nur die Friedhöfe an sich sind unterschiedlich, auch die einzelnen Flächentypen sind es. Welche sind für Wildbienen am attraktivsten? „Ich bin davon ausgegangen, dass wir an den Rändern der Wiesen oder auf den bepflanzten Gräbern am meisten Tiere finden werden.“  Weil diese Gräber auf den ersten Blick eine große Blütenvielfalt bieten. Doch das Ergebnis war ein anderes: Gerade die vernachlässigten, verwilderten Gräber waren attraktiv: Hier konnten die Forschenden am meisten Individuen und am meisten Arten zu finden. Hauptsächlich deshalb, weil im Laufe der Zeit dort eine wiesenähnliche Struktur mit einheimischen Blühpflanzen entstanden war. Außerdem stellte sich heraus, dass es sehr viele ungenutzte Gräber gibt.

Zottelbiene im Habichtskraut. Foto: gebohne, CC BY-SA 2.0

Die Spezialisten fördern

Für die Förderung der Wildbienen gibt nicht das eine gültige Patentrezept – dafür sind die einzelnen Arten mit ihren speziellen Nahrungsvorlieben zu unterschiedlich. Immerhin fliegen über die Hälfte der gefundenen Arten nahezu alle Pflanzenarten an, sie sind Generalisten. Um die muss sich Bärbel Pachinger keine Sorgen machen. Schwieriger ist es mit dem Spezialisten, die ein fünftel aller gefundenen Arten ausmachen und die Pollen einer einzigen Pflanzenfamilie einsammeln. Sie muß man gezielt unterstützen.

Es sind Arten wie die Gekerbte Löcherbiene (Osmia crenulatus) oder die Kleine Zottelbiene (Panurgus calcaratus), die nur auf Korbblütler fliegen, also Pflanzen wie Disteln oder Löwenzahn. Oder Arten wie die Rotklee-Sandbiene (Andrena labialis) die wiederum nur Pollen von Schmetterlingsblütlern einsammelt. Dazu gehören Kleesorten, aber auch Wicken oder Luzernen. Diese Pflanzenfamilien gab es auf den verwilderten Gräbern und an Böschungen.

Gräber und Gesamtkonzept

Sollte man diese Pflanzenfamilien gezielt anpflanzen? Oder brauchen wir auf Friedhöfen vielmehr Bereiche, wo wir nicht eingreifen und die wir sich selbst überlassen? „Man kann den eigenen Gestaltungswillen auf dem Familiengrab und die Bedürfnisse der Wildbienen durchaus miteinander in Einklang bringen“, sagt die Biologin. Optimal wäre, die eigene Grabfläche mit wildbienenfreundlichen Pflanzen zu gestalten und das wilde Wuchern am Nachbargrab zuzulassen. „Das sollten wir nicht als unnütze Fläche sehen, sondern als Lebensraum für Blütenbesucher.“

Und die Friedhofsgärtnerei? Könnte sich um das Gesamtkonzept kümmern: Dass immer irgendwo etwas blüht, das ganze Jahr über, vom Frühblüher wie der Salweide bis zum Efeu im Herbst. Denn unterschiedliche Wildbienenarten kommen zu unterschiedlichen Zeiten.

Ende April wurden insbesondere auf dem Hernalser und Döblinger Friedhof die ersten Schmalbienen entdeckt. Die dunkel gefärbten Weibchen hatten in kleinen Erdhöhlen überwintert und dort verzweigte, mehrstöckige Kammern angelegt, die jedes Jahr erweitert werden. Wie bei Honigbienen gibt es auch hier eine Königin, die insgesamt bis zu 1500 Eier legen kann. So kann diese Schmalbienenart ihre Population über mehrere Jahre hinweg langsam aufbauen. Zudem ist sie nicht wählerisch, was das Futter angeht, was ihr Vorteile verschafft gegenüber spezialisierteren Arten. In Deutschland sind die wärmeliebenden Schmalbienen eher selten – noch.  

Im Mai kamen dann die Sandbienen, besonders die Donau-Sandbiene (Andrena danuvia) und die Art Andrena taraxaci, die in Deutschland als „sehr selten“ gelistet ist. Im Juni konnten insgesamt nur wenige Wildbienen beobachtet werden. Der Grund dafür könnte sein, dass zu diesem Zeitpunkt viele Flächen gleichzeitig gemäht wurden. Hätte man zeitlich versetzt gemäht, wäre der Rückgang der Tiere sicher nicht so drastisch gewesen. Großflächige Pflegeeingriffe sollte in Zukunft vermieden werden, schreibt Bärbel Pachinger als Konsequenz in ihrer Studie. 

„Friedhöfe haben das Potential, Wildbienen zu fördern.“ sagt die Biologin. Doch in Wien hat ihre Studie bisher noch keinen größeren Wandel bewirkt. „Der Wiener Zentralfriedhof hat mittlerweile einen Bienengarten angelegt, das ist mal ein Anfang. Aber auf den anderen Wiener Friedhöfen gibt es – nach wie vor – viel Luft nach oben.“

Hast Du selbst auch schon mal Wildbienen auf dem Friedhof entdeckt? Schreib uns – hier, bei Twitter oder Instagram!

Öfter mal einfach wachsen lassen… Foto: Bärbel Pachinger

Headerfoto: Schmalbiene by PJT56, CC BY-SA 4.0

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