Nicht einmal die Sandbiene würde hier graben

Einst hatte Stuttgart einen riesigen Schlosspark. Heute finden wir kurzgeschorenes Grün, viel Beton und dazwischen die staubige Stuttgart-21-Baustelle. Ob es in diesem Areal überhaupt noch Insekten gibt? Der Biologe und Käferspezialist Thomas Hörren nimmt uns mit auf einen Rundgang und zeigt uns, wo sie leben könnten: Insekten in der Großstadt.

Er half, das Insektensterben in Deutschland in die Schlagzeilen zu bringen: Als Mitautor der berühmten Krefelder Studie will Thomas Hörren mit einer kleinen Gruppe Neugieriger den Oberen Schlossgarten in der Stuttgarter City erkunden.

Dieser Teil des 600 Jahre alten Parks ist eingekeilt ist zwischen einer sechsspurigen Bundesstraße und der Einkaufsmeile. Thomas Hörren steuert auf den gusseisernen Brunnen zu, der umrundet ist von einer kleinen Baumgruppe hochgewachsener Platanen. Der junge Forscher ist überzeugt, dass wir hier Insekten finden werden: „Je länger ein Lebensraum existiert, desto artenreicher ist er auch.“ Einst stand hier die berühmte Karlsakademie, in der Schiller und andere studierten. Lediglich dieser Löwenbrunnen von 1811 wurde erhalten, und möglicherweise sind die Platanen genauso alt.

Einst groß und üppig – der Schlossgarten im Residenzviertel Stuttgart. Federzeichnung, 18. Jahrhundert. CC 0

Naturschutz mit der Kettensäge

Der Käferspezialist sucht einen der Stämme nach Höhlen ab. „Wenn der Baum eine Wunde hat, dann kommen zuallererst die Pilze und verdauen das Holz schon mal vor. Käfer, Wespen und Fliegen folgen später – aber nur, wenn das Holz von den Pilzen vorbereitet wurde.“ Viele Jahrzehnte kann es dauern, bis so eine insektentaugliche Höhle entsteht. Doch hier in den alten Platanen sind die Höhlenöffnungen zu groß: „Da pfeift der Wind rein und nass werden sie auch. Das sind schlechte Bedingungen. Am insektenreichsten sind die Höhlen, die innen groß sind, aber nach außen nur eine winzig kleine Öffnung haben. Da fühlen sich die Insekten wohl.“

Mittlerweile gibt es Naturschutzkonzepte, die solche Höhlungen künstlich schaffen. Naturschutz mit der Kettensäge heißt die Idee, bei der man künstliche Öffnungen in den Baum hineinzuschneiden versucht. Fünf Jahre dauert es, bis der Baum einen Rindenwulst um die große Öffnung wachsen lässt und die ersten Käfer kommen. „Die Methode funktioniert!“

Ob das Wurzelbiotop seine Wirkung auf Insekten im Schlosspark voll entfalten kann? Foto: Nicola Wettmarshausen, CC BY-NC-ND

Nährstoffe und Verdichtung

Wir gehen weiter in Richtung Landtag, vorbei an einer Grünfläche, die mich mit ihren kurzgeschorenen Halmen an einen Golfplatz erinnert. „Insektenfreundlich sind solche Rasenflächen nicht.“ Thomas Hörren hält sie sogar für lebensfeindlich: „Nicht einmal die bodenlebende Sandbiene würde hier graben, dazu ist der Rasen viel zu dicht und der Boden zu verdichtet.“ Und dann gibt noch einen weiteren Faktor: Stickstoff.

„Parkanlagen haben ja eine interessante Eigenschaft: die Leute gehen hier gerne mit ihren Hunden spazieren. So gibt es Tag für Tag – und das summiert sich – eine totale Nährstoffüberfrachtung mit Hundekot. Man sorgt damit gleichzeitig auch für eine Homogenisierung der Flächen, weil hier überhaupt nur nährstoffliebende Pflanzenarten wachsen können. Das heißt, der Boden hier ist auch wegen der Menge an Stickstoffverbindungen völlig lebensfeindlich für Insekten.“  

Welche Orte aber wären denn ideale Platz für Insekten in der Stadt? „Es sollte ein Ort ohne Hunde und ihre Nährstoffe sein“ sagt er. Mit weniger Menschen, dafür mit alten Bäumen und Büschen. Ein Ort mit Licht und Schatten. Und ja – diese Orte gibt es durchaus in einer Großstadt: Es sind Friedhöfe. Friedhöfe sind häufig die artenreichsten Orte für Insekten. „Ich laufe gerne nachts allein mit der Stirnlampe über den Friedhof. Auf der Suche nach seltenen Nachtfaltern“ sagt Hörren mit einem leichten Grinsen, wissend, dass man als Käferforscher auch das traditionell leicht verschrobene Image seiner Zunft pflegen muss.

Nicht nur Blüten

Als wir weitergehen, schauen wir uns das Areal rund um die Rasenfläche noch einmal genauer an. Am Weg gibt es durchaus ein Nahrungsangebot mit Blüten, doch das allein reicht nicht aus. Wenn jetzt noch ein großer Sandhaufen dazukäme und daneben ein Gewässer mit Lehmboden, dann fänden bodenbrütende Arten Nahrung und hätten daneben auch Orte, wo sie Eier legen können.

Für eine insektenfreundliche Wiese bräuchte man hier eine Kombination aus Futter, Übernachtungsmöglichkeit und einem Brutplatz, schlägt der Biologe vor. „Die Fliege hier – die Wiese ist eigentlich nicht ihr Lebensraum. Sie braucht einen Ort als Larve und später einen, wo sie Nahrung finden kann. Das sind immer zwei unterschiedliche Lebensbereiche. Alle Insekten, die sich verpuppen können, brauchen das.“ Mit diesen Angeboten könnte man den Park aufwerten – die Kerbtiere würden es uns danken.

Kandiert oder als Suppe

Wir bleiben an einer Rosenhecke stehen, die den Weg von der dahinterliegenden Rasenfläche abgrenzt. Ist das überhaupt eine Hecke, oder eher ein Busch? „Wo sind hier die meisten Insekten?“ fragt der Biologe und reißt mich aus meiner Grübelei. Auf den Blüten – denke ich mir und warte ab, was die anderen sagen. Thomas Hörren zeigt auf die dünnen Zweige, die vermutlich durch vorbeistreifende Hunde oder Menschen arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Hier, hier an den Randbereichen, wo schon mal jemand draufgetreten ist, da sind immer am meisten Insekten drauf. Denn alle Insekten, die an Pflanzen gehen, sind Schwächeparasiten. Sie kommen, weil diese beschädigten Pflanzen sich am wenigsten wehren können.“

Klar, denke ich – nicht alle Insekten stehen auf Blüten! Manche trinken lieber Pflanzensaft, so wie  Blattläuse. Und während ich weiter darüber nachdenke, ist der Biologe schon weiter – es geht um das Kernthema Insektenschwund, hier im Park und allgemein. „Nehmen wir die Maikäfer. Sie brauchen drei bis fünf Jahre, bis sie als fertiger Käfer entwickelt sind. Die älteren von Euch kennen das noch, dass es früher mehr Maikäfer gab. Und vor 100 Jahren war es so, dass Maikäfer sogar gegessen wurden. Es gab Maikäfersuppe. Oder kandierten Maikäfer. Weil es so viele von ihnen gab und man gar nicht wusste, was man mit ihnen machen sollte.“

Durch die Agrarwende änderte sich das: die Bauern fingen an, im großen Stil zu pflügen. Und das sorgte dafür, dass Feldmaikäfer sich über diese länger Zeitspanne drei bis fünf Jahren nicht mehr im Boden entwickeln konnten, ohne gestört zu werden. „Und dann kam noch DDT dazu“ erzählt uns Thomas Hörren.

Und hier im Park? Maikäfer wird man hier vergeblich suchen, schätzt der Biologe. „So eine dichte Wiese wie da hinten, da hat es ein Maikäfer total schwer, überhaupt in den Boden reinzukommen. Die Pflanzen schützen sich gegenseitig. Und die Böden sind hier auch nicht geeignet, weil die leider so verdichtet und komplett mit Stickstoff überfrachtet sind.“ Was man hier im Park aber sehen könnte, wären Junikäfer. „Die schwirren einem gerne mal um den Kopf und in die Haare hinein. Weil sie hohe Punkte anfliegen, eigentlich Baumwipfel und so. Also die sind noch relativ häufig.“

Wächterin mit Stöpselkopf

Auf unserer Tour haben wir den Eckensee umrundet, über Speck- und Rindenkäfer gesprochen und  kommen dann zu einer Insektenfamilie, die man normalerweise nahezu überall finden kann – Ameisen. 600 Arten soll es in Europa gegen, in städtischen Lebensräumen finden sich allerdings nur noch zwei bis drei.

Und dann erzählt uns Thomas Hörren von einer besonderen Spezies, die auch hier in den alten Platanen leben könnte: Die Stöpselkopf-Ameise. „Die wohnen in einer größeren Höhle im Stamm, die nur zwei bis drei winzige Öffnungen hat. Im Laufe der Evolution hat sich der Kopf der Tiere so verformt, dass er genau in den Höhleneingang passt. Und da sitzt dann eine Wächterin und verschließt mit ihrem Kopf den Eingang zum Nest – ich finde das genial.“

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Mit Thomas Hörren im Oberen Schlosspark. Foto: Nicola Wettmarshausen, CC BY-NC-ND

Headerfoto: Julia Ochs, StadtPalais Stuttgart

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